Aktuelle Situation bezüglich der Bewilligung von Mobilfunkantennen


Datum: 19.02.2006

An den Stadtrat Kreuzlingen
z. Hd. Stadtammann Josef Bieri


Sehr geehrter Herr Bieri
Seit etwa Mitte des vergangenen Jahres gibt es einen faktischen Stopp für die Bewilligung von Mobilfunkantennen in der Schweiz. Ein Bundesgerichtsurteil1  vom 10. März 2005 legt neue Richtlinien für die Bewilligung von Mobilfunkantennen fest, die bis zum heutigen Tag aber noch nicht in die Praxis umgesetzt sind. Viele Gemeinden nehmen den verfassungsmässigen Schutz ihrer Bevölkerung ernst und bewilligen deshalb keine Antennen mehr.

Anfangs Jahr hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU ehemals BUWAL) die Kantone und Gemeinden darüber informiert2, dass man ein sogenanntes Qualitätssicherungssystem konzipiert habe und somit Mobilfunkantennen wieder zu bewilligen seien. Entsprechende Mitteilungen wurden von den Mobilfunkanbietern auch über die Tagespresse verbreitet. Aus unserer Sicht handelt es sich dabei aber um eine bewusste Irreführung der Bewilligungsbehörden bzw. der Öffentlichkeit. Wir weisen diesbezüglich auf folgende Tatsachen hin:

  1. Nachdem das Bundesgericht von der Beschwerdeführerin Orange Communications SA keine wahrheitsgetreuen Auskünfte erhalten hatte, entschied es, dass zukünftig die maximalen Leistungsparameter von Sendeanlagen bei den Berechnungen in den Standortdatenblättern zu verwenden sind. Falls dies nicht gemacht werde, müsse mit baulichen Massnahmen objektiv und nachprüfbar sichergestellt werden, dass eine Überschreitung der deklarierten Leistungsparameter nicht möglich ist.
  2. Das von den Mobilfunkanbietern vorgeschlagene und vom BAFU abgesegnete Qualitätssicherungssystem genügt den bundesrichterlichen Auflagen in keiner Weise, da es nach wie vor zu einem wesentlichen Teil auf Selbstkontrolle der Mobilfunkanbieter basiert.
  3. Das Bundesgericht stellt unmissverständlich klar, dass die in der Vergangenheit offensichtlich ungenügende Selbstkontrolle der Mobilfunkbetreiber eindeutig unzulässig ist. Es darf in Zukunft ganz einfach keine Überschreitung der deklarierten Leistungsparameter mehr möglich sein. Mit Qualitätssicherung hat das überhaupt nichts zu tun!
  4. Aus technischer Sicht hat das BAKOM verschiedene Lösungen für das Problem im Rahmen eines Gutachtens3  angedeutet. Leider wurde dann im Grobkonzept nur eine einfache Softwarelösung verfolgt, da diese den Mobilfunkanbietern am wenigsten Aufwand und grösstmögliche Flexibilität bei der Realisierung bereitet. Bauliche und objektiv überprüfbare Massnahmen, wie vom Bundesgericht gefordert, wurden aber keine vorgeschlagen.
  5. Die beschriebene Lösung ist bis jetzt ein reiner „Papiertiger“, da sie frühestens Ende 2006 von den Betreibern realisiert sein wird. Nur schon dieser Umstand verbietet eine vorzeitige Bewilligung und Inbetriebnahme von Antennen, wie dies das BAFU in seinem Schreiben empfiehlt.
  6. Das beschriebene Qualitätssicherungssystem4 sieht vor, dass einmal innerhalb von 24 Stunden die - durch den Betreiber selber in einer Datenbank eingetragenen - Leistungsparameter auf ihre Konformität hin überprüft werden. Es ist offensichtlich, dass dieses System bei Bedarf auf einfachste Weise „austricksbar“ ist.
  7. Festgestellte Abweichungen sollten gemäss Empfehlung innerhalb von weiteren 24 Stunden bzw. sogar erst nach 5 Arbeitstagen durch den Betreiber behoben und protokolliert werden. Die kantonalen Vollzugsbehörden erhalten die entsprechenden Protokolle dann aber erst mit zweimonatiger Verspätung zur Kontrolle. In der Praxis bedeutet das, dass Grenzwertüberschreitungen frühestens - wenn überhaupt - nach 2 Monaten durch die Vollzugsbehörden festgestellt und korrigiert werden können.
  8. In der bundesrätlichen Strahlenschutzverordnung (NISV) sind die zulässigen Immissions- und Anlagegrenzwerte definiert und dürfen nicht überschritten werden. Die Empfehlung des BAFU, welche ein Sicherungssystem vorschlägt, das bewusst eine Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte in Kauf nimmt, ist unseres Erachtens rechtswidrig und auch von gewisser politischer Brisanz. Jedenfalls kann das berechtigte Schutzinteresse der Bevölkerung so nicht sichergestellt werden.
  9. Wir halten an dieser Stelle vollständigkeitshalber fest, dass das betreffende Schreiben des BAFU lediglich eine Empfehlung für Kantons- und Gemeindebehörden ist. Das BAFU hat diesbezüglich keinerlei Weisungsbefugnis. Ausserdem sind disziplinarische Konsequenzen für die Verantwortlichen des BAFU in dieser Hinsicht nicht auszuschliessen.
Die Strategie der Mobilfunkanbieter hinter diesem Vorgehen ist offensichtlich. Man hofft, dass sich die Bewilligungs- behörden landesweit von der BAFU-Mitteilung beeindrucken lassen und hängige Baugesuche bewilligen werden. Die Mobilfunkanbieter rechnen damit, dass nur wenige angefochtene Baugesuche bis zum Bundesgericht weitergezogen werden. Falls dann Bundesgerichtsentscheide nach 4-5 Jahren wieder zu Ungunsten der Mobilfunkanbieter ausfallen werden, ist dies kein ernsthaftes Problem mehr da die meisten Antennen bis dahin ja schon längere Zeit bewilligt und in Betrieb sein werden.

Der Stadtpräsident von Bern hat dazu am 14.2.2006 über die Medien mitgeteilt5, dass die Bundeshauptstadt aus den aufgeführten Gründen weiterhin am im vergangenen Jahr verfügten Antennen-Moratorium festhalten will. Weitere Gemeinden haben sich bereits dem wegweisenden Entscheid von Bern angeschlossen.


Wir weisen an dieser Stelle auch noch auf das Moratorium für UMTS-Antennen im Kanton Wallis6 hin. Das dort laufende Gerichtsverfahren7 hat ergeben, dass die Situation beim Vollzug der Strahlenschutzverordnung hinsichtlich UMTS-Antennen völlig ungenügend ist.
  1. Es fehlen, trotz gegenteiliger Beteuerungen unseres kantonalen Vollzugsbeamten Robert Bösch, noch immer verabschiedete und praxistaugliche Messrichtlinien8 für UMTS-Antennen.
  2. Geradezu beängstigend ist, weder der Kanton Thurgau noch die übrigen Kantone verfügen über geeignete Messgeräte, um die Einhaltung der Grenzwerte zu überprüfen.
  3. Das Bundesamt für Mess- und Akkreditierungswesen (METAS) hat bei einem Test9 mit mehreren handels- üblichen Messgeräten festgestellt, dass mit keinem einzigen zuverlässige UMTS-Messungen möglich sind. Der Fehlerfaktor liegt bei über vier, was in der Praxis bedeutet, dass bei einem gerade noch eingehaltenen Anlagegrenzwert von 5,8 V/m (wie z.B. bei der geplanten Antenne an der Romanshornerstrasse) in Wirklichkeit über 24 V/m vorhanden sein können.
  4. Obwohl UMTS-Antennen schon seit einigen Jahren bewilligt und betrieben werden, wird das berechtigte Schutzinteresse der Bevölkerung nicht gewährleistet. Klarheit werden die erwarteten Gerichtsentscheide zum Walliser UMTS-Moratorium schaffen.

Ausgehend von den beschriebenen und unhaltbaren Zuständen beim Vollzug der Strahlenschutzverordnung, bitten wir Sie, keine Mobilfunkantennen in Kreuzlingen zu bewilligen und bei den bereits bewilligten UMTS-Antennen und allenfalls auch GSM-Antennen verlässliche, neutrale und vor allem unangemeldete Messungen zu verlangen. Falls dies nicht möglich ist, bitten wir Sie zum Schutze der Bevölkerung eine vorläufige Betriebseinstellung zu verfügen. Das dies aus rechtlicher Sicht möglich ist, zeigen die Beispiele der Stadt Bern und des Kanton Wallis.

Es ist uns bewusst, dass die ganze Angelegenheit komplex und wenig durchschaubar ist. Selbst die beim kantonalen und eidgenössischen Amt für Umwelt mit dem Vollzug betrauten Personen scheinen den Beteuerungen und Behauptungen der Mobilfunkbetreiber hörig zu sein. Die von unserer Interessengemeinschaft zusammengetragenen Fakten und Erkenntnisse belegen dies. Wir sind gerne bereit, Ihnen weitere Informationen und Unterlagen zukommen zu lassen.



Mit freundlichen Grüssen

IG Strahlungsfreies Kreuzlingen



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Quellennachweis:

  1. Bundesgerichtsentscheid, 10.03.2005 (1A.160/2004). Kontrolle der Sendeleistung von Mobilfunksendeanlagen.
  2. BAFU Rundschreiben, 16.01.2006. Qualitätssicherung zur Einhaltung der Grenzwerte der NISV bei Basisstationen für Mobilfunk und drahtlose Teilnehmeranschlüsse.
  3. BAKOM Expertise, 30.09.2005. Kontrolle der abgestrahlten Leistung (ERP) von Mobilfunk-Basisstationen.
  4. Cercl'Air Memo, 15.12.2005. Verbindliche Rahmenbedingungen für die Umsetzung der DB-Lösung.
  5. Pressemitteilung der Stadt Bern, 14.02.2006. Bearbeitung von hängigen Mobilfunk-Baugesuchen ausgesetzt.
  6. Verfügung des Staatsrats Wallis, 05.10.2005. Verbot jedes weiteren Ausbaus der UMTS-Netze.
  7. Gutachten von Hans-U. Jakob z.Hd. des Kantonsgericht Wallis, 18.01.2006. Nicht-Messbarkeit der Strahlung von UMTS-Mobilfunk-Antennen.
  8. BUWAL/METAS, 17.09.2003. Entwurf einer Messempfehlung für UMTS-Mobilfunk-Basisstationen.
  9. METAS Bericht, 10.11.2005. Vergleichsmessungen mit UMTS Codeleistungs-Messgeräten.









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