|
An den Stadtrat
Kreuzlingen
z. Hd. Stadtammann Josef Bieri
Sehr geehrter Herr Bieri
Seit etwa Mitte des
vergangenen Jahres gibt es einen faktischen Stopp für die
Bewilligung von Mobilfunkantennen in der Schweiz. Ein
Bundesgerichtsurteil1 vom 10. März 2005 legt neue
Richtlinien
für die Bewilligung von Mobilfunkantennen fest, die bis zum
heutigen Tag aber noch nicht in die Praxis umgesetzt sind. Viele
Gemeinden nehmen den verfassungsmässigen Schutz ihrer
Bevölkerung ernst und bewilligen deshalb keine Antennen mehr.
Anfangs Jahr hat das
Bundesamt für Umwelt (BAFU ehemals BUWAL) die Kantone und
Gemeinden darüber informiert2, dass man ein sogenanntes
Qualitätssicherungssystem konzipiert habe und somit
Mobilfunkantennen wieder zu bewilligen seien. Entsprechende
Mitteilungen wurden von den Mobilfunkanbietern auch über die
Tagespresse verbreitet. Aus unserer Sicht handelt es sich dabei aber
um eine bewusste Irreführung der
Bewilligungsbehörden bzw.
der Öffentlichkeit. Wir weisen diesbezüglich auf
folgende
Tatsachen hin:
- Nachdem das
Bundesgericht von der Beschwerdeführerin Orange Communications SA
keine wahrheitsgetreuen Auskünfte erhalten hatte, entschied es,
dass zukünftig die maximalen Leistungsparameter von Sendeanlagen
bei den Berechnungen in den Standortdatenblättern zu verwenden
sind. Falls dies nicht gemacht werde, müsse mit baulichen
Massnahmen objektiv und nachprüfbar sichergestellt werden, dass
eine Überschreitung der deklarierten Leistungsparameter nicht
möglich ist.
- Das von den
Mobilfunkanbietern vorgeschlagene und vom BAFU abgesegnete
Qualitätssicherungssystem genügt den bundesrichterlichen
Auflagen in keiner Weise, da es nach wie vor zu einem wesentlichen Teil
auf Selbstkontrolle der Mobilfunkanbieter basiert.
- Das Bundesgericht
stellt unmissverständlich klar, dass die in der Vergangenheit
offensichtlich ungenügende Selbstkontrolle der Mobilfunkbetreiber
eindeutig unzulässig ist. Es darf in Zukunft ganz einfach keine
Überschreitung der deklarierten Leistungsparameter mehr
möglich sein. Mit Qualitätssicherung hat das überhaupt
nichts zu tun!
- Aus technischer Sicht
hat das BAKOM verschiedene Lösungen für das Problem im
Rahmen eines Gutachtens3 angedeutet. Leider wurde dann
im
Grobkonzept nur eine einfache Softwarelösung verfolgt, da diese
den Mobilfunkanbietern am wenigsten Aufwand und
grösstmögliche Flexibilität bei der Realisierung
bereitet. Bauliche und objektiv überprüfbare Massnahmen, wie
vom Bundesgericht gefordert, wurden aber keine vorgeschlagen.
- Die beschriebene
Lösung ist bis jetzt ein reiner „Papiertiger“, da sie
frühestens Ende 2006 von den Betreibern realisiert sein wird. Nur
schon dieser Umstand verbietet eine vorzeitige Bewilligung und
Inbetriebnahme von Antennen, wie dies das BAFU in seinem Schreiben
empfiehlt.
- Das beschriebene
Qualitätssicherungssystem4 sieht vor, dass einmal
innerhalb
von 24 Stunden die - durch den Betreiber selber in einer Datenbank
eingetragenen - Leistungsparameter auf ihre Konformität hin
überprüft werden. Es ist offensichtlich, dass dieses System
bei Bedarf auf einfachste Weise „austricksbar“ ist.
- Festgestellte
Abweichungen sollten gemäss Empfehlung innerhalb von weiteren 24
Stunden bzw. sogar erst nach 5 Arbeitstagen durch den Betreiber behoben
und protokolliert werden. Die kantonalen Vollzugsbehörden
erhalten die entsprechenden Protokolle dann aber erst mit zweimonatiger
Verspätung zur Kontrolle. In der Praxis bedeutet das, dass
Grenzwertüberschreitungen frühestens - wenn überhaupt -
nach 2 Monaten durch die Vollzugsbehörden festgestellt und
korrigiert werden können.
- In der
bundesrätlichen Strahlenschutzverordnung (NISV) sind die
zulässigen Immissions- und Anlagegrenzwerte definiert und
dürfen nicht überschritten werden. Die Empfehlung des BAFU,
welche ein Sicherungssystem vorschlägt, das bewusst eine
Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte in Kauf nimmt, ist
unseres Erachtens rechtswidrig und auch von gewisser politischer
Brisanz. Jedenfalls kann das berechtigte Schutzinteresse der
Bevölkerung so nicht sichergestellt werden.
- Wir halten an dieser
Stelle vollständigkeitshalber fest, dass das betreffende Schreiben
des BAFU lediglich eine Empfehlung für Kantons- und
Gemeindebehörden ist. Das BAFU hat diesbezüglich keinerlei
Weisungsbefugnis. Ausserdem sind disziplinarische Konsequenzen
für die Verantwortlichen des BAFU in dieser Hinsicht nicht
auszuschliessen.
Die Strategie der
Mobilfunkanbieter hinter diesem Vorgehen ist
offensichtlich. Man hofft, dass sich die Bewilligungs- behörden
landesweit von der BAFU-Mitteilung beeindrucken lassen und
hängige Baugesuche bewilligen werden. Die Mobilfunkanbieter
rechnen damit, dass nur wenige angefochtene Baugesuche bis zum
Bundesgericht weitergezogen werden. Falls dann Bundesgerichtsentscheide
nach 4-5 Jahren wieder zu Ungunsten der Mobilfunkanbieter ausfallen
werden, ist dies kein ernsthaftes Problem mehr da die meisten Antennen
bis dahin ja schon längere Zeit bewilligt und in Betrieb sein
werden.
Der
Stadtpräsident von Bern hat
dazu am 14.2.2006 über die
Medien mitgeteilt5, dass die Bundeshauptstadt aus den
aufgeführten
Gründen weiterhin am im vergangenen Jahr verfügten Antennen-Moratorium
festhalten will. Weitere Gemeinden haben sich
bereits dem wegweisenden Entscheid von Bern angeschlossen.
Wir weisen an dieser
Stelle auch noch auf das Moratorium
für
UMTS-Antennen im Kanton Wallis6 hin. Das dort
laufende
Gerichtsverfahren7 hat ergeben, dass die Situation beim
Vollzug
der Strahlenschutzverordnung hinsichtlich UMTS-Antennen völlig
ungenügend ist.
- Es fehlen, trotz
gegenteiliger Beteuerungen unseres kantonalen Vollzugsbeamten Robert
Bösch, noch immer verabschiedete und praxistaugliche
Messrichtlinien8 für UMTS-Antennen.
- Geradezu
beängstigend ist, weder der Kanton Thurgau noch die übrigen
Kantone verfügen über geeignete Messgeräte, um die
Einhaltung der Grenzwerte zu überprüfen.
- Das Bundesamt
für Mess- und Akkreditierungswesen (METAS) hat bei einem
Test9 mit mehreren handels- üblichen Messgeräten
festgestellt, dass mit keinem einzigen zuverlässige
UMTS-Messungen möglich sind. Der Fehlerfaktor liegt bei über
vier, was in der Praxis bedeutet, dass bei einem gerade noch
eingehaltenen Anlagegrenzwert von 5,8 V/m (wie z.B. bei der geplanten
Antenne an der Romanshornerstrasse) in Wirklichkeit über 24 V/m
vorhanden sein können.
- Obwohl UMTS-Antennen
schon seit einigen Jahren bewilligt und betrieben werden, wird das
berechtigte Schutzinteresse der Bevölkerung nicht
gewährleistet. Klarheit werden die erwarteten Gerichtsentscheide
zum Walliser UMTS-Moratorium schaffen.
Ausgehend von den
beschriebenen und unhaltbaren Zuständen beim
Vollzug der Strahlenschutzverordnung, bitten wir Sie, keine
Mobilfunkantennen in Kreuzlingen zu bewilligen und bei den
bereits
bewilligten UMTS-Antennen und allenfalls auch GSM-Antennen
verlässliche, neutrale und vor allem unangemeldete Messungen zu
verlangen. Falls dies nicht möglich ist, bitten wir Sie zum
Schutze der Bevölkerung eine
vorläufige Betriebseinstellung
zu verfügen. Das dies aus rechtlicher Sicht möglich
ist,
zeigen die Beispiele der Stadt Bern und des Kanton Wallis.
Es ist uns bewusst, dass die ganze Angelegenheit komplex und wenig
durchschaubar ist. Selbst die beim kantonalen und eidgenössischen
Amt für Umwelt mit dem Vollzug betrauten Personen scheinen den
Beteuerungen und Behauptungen der Mobilfunkbetreiber hörig zu
sein. Die von unserer Interessengemeinschaft zusammengetragenen Fakten
und Erkenntnisse belegen dies. Wir sind gerne bereit, Ihnen weitere
Informationen und Unterlagen zukommen zu lassen.
Mit freundlichen
Grüssen
IG Strahlungsfreies Kreuzlingen
---------------------------------------
Quellennachweis:
- Bundesgerichtsentscheid,
10.03.2005 (1A.160/2004). Kontrolle der Sendeleistung von
Mobilfunksendeanlagen.
- BAFU Rundschreiben,
16.01.2006. Qualitätssicherung zur Einhaltung der Grenzwerte der
NISV bei Basisstationen für Mobilfunk und drahtlose
Teilnehmeranschlüsse.
- BAKOM Expertise,
30.09.2005. Kontrolle der abgestrahlten Leistung (ERP) von
Mobilfunk-Basisstationen.
- Cercl'Air Memo,
15.12.2005. Verbindliche Rahmenbedingungen für die Umsetzung der
DB-Lösung.
- Pressemitteilung der
Stadt Bern, 14.02.2006. Bearbeitung von hängigen
Mobilfunk-Baugesuchen ausgesetzt.
- Verfügung des
Staatsrats Wallis, 05.10.2005. Verbot jedes weiteren Ausbaus der
UMTS-Netze.
- Gutachten von Hans-U.
Jakob z.Hd. des Kantonsgericht Wallis, 18.01.2006. Nicht-Messbarkeit
der Strahlung von UMTS-Mobilfunk-Antennen.
- BUWAL/METAS,
17.09.2003. Entwurf einer Messempfehlung für
UMTS-Mobilfunk-Basisstationen.
- METAS Bericht,
10.11.2005. Vergleichsmessungen mit UMTS Codeleistungs-Messgeräten.
|